In der Schule, während der Ausbildung und an der Universität eignen wir uns viel Wissen an und sollten nicht nur für eine bevorstehende Prüfung, sondern auch darüber hinaus darauf zugreifen können. Die traurige Wahrheit ist jedoch, dass wir nach längerer Zeit nur noch über einen Bruchteil dieses Wissens verfügen. Die Kognitionspsychologie hat in den letzten Jahren intensiv Lernstrategien erforscht, die langfristiges Behalten von Wissen begünstigen. Zwei erfolgreiche, praktikable und kostengünstige Lernstrategien und ihre Anwendung im Lernalltag werden hier vorgestellt.

Zwei Monate vor der Prüfung: Die Termine stehen fest. Super, ich habe genug Zeit, um den ganzen Stoff zu lernen und mich gut auf die Prüfung vorzubereiten. Kein Stress, das ist gut.
Zwei Wochen vor der Prüfung: Es wird Zeit mit der Prüfungsvorbereitung zu beginnen. Letztes Mal hat es mit der kurzfristigen Vorbereitung auch ganz gut geklappt. Etwas Stress, aber kein Problem.
Zwei Tage vor der Prüfung: Jetzt wird gepaukt, was das Zeug hält. Stress pur, aber für die Prüfung wird es reichen.
Zwei Monate nach der Prüfung: Alles vergessen.

So oder so ähnlich geht es vielen Schülern und Schülerinnen sowie Studierenden. Kurz vor der Prüfung wird der Lernstoff häufig in kurzen Abständen wiederholt gelesen, um schnelle Lernerfolge zu erzielen, weil die Zeit knapp ist. Problematisch ist, dass sowohl das geballte Lernen als auch das wiederholte Durchlesen der Unterlagen nur kurzfristig brauchbare Strategien darstellen. Wissen, das auf diese Weise erarbeitet wurde, wird sehr schnell wieder vergessen. Schnelle Lernerfolge übersetzen sich leider nicht automatisch in langfristige Lernerfolge. Ganz im Gegenteil! Ein einfaches Prinzip aus der Kognitionspsychologie besagt: Schnelles und leichtes Lernen führt zu kurzfristigem Wissenserhalt; langsameres und aufwändigeres Lernen führt zu langfristigem Wissenserhalt (Bjork, 1994). Von langfristigem Lernerfolg wird gesprochen, wenn Wissen auch ein paar Tage nach dem Lernen (und idealerweise länger) noch abrufbar ist.Bild von congerdesign via pixabay (https://pixabay.com/en/school-old-wood-slate-teaching-543041/), cc (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de)
Zwei auf diesem simplen Prinzip basierende Lernmethoden haben sich hinsichtlich langfristiger Lernerfolge an die Spitze katapultiert. Die erste Methode, Lerntests, beschäftigt sich damit, wie der Lernstoff erarbeitet werden sollte. Die zweite Methode, Verteiltes Lernen, spezifiziert, wann am besten gelernt werden sollte. Diese Strategien sind gut erlernbar, kosteneffektiv und als Methode für Lehrende und Lernende anwendbar (Dunlosky, Rawson, Marsh, Nathan & Willingham, 2013).

Benutze Tests zum Lernen!

Im Lehrkontext werden Tests normalerweise verwendet, um zu bewerten, wieviel die oder der Lernende über ein Thema gelernt hat. Üblicherweise decken diese Tests eine große Menge Lernstoff ab, da sie erst nach einer gewissen Zeit (z. B. wenn ein Thema abgeschlossen ist) oder am Ende des Halbjahres/Semesters gestellt werden. Neben diese Funktion eines Tests tritt aber noch eine andere: KognitionspsychologInnen haben nämlich gezeigt, dass Tests eine der besten Lernmethoden für langfristigen Lernerfolg darstellen.

Solche Lerntests führen zum besseren Behalten von Wissen als ein wiederholtes Lesen derselben Information (auch Testeffekt genannt). So instruierten Roediger und Karpicke (2006) die Teilnehmenden entweder, eine Textpassage wiederholt zu lesen (Lese-Strategie), oder alles aus dem Gedächtnis zu reproduzieren ( freier Gedächtnisabruf), was sie sich nach einmaligem Lesen des Textes merken konnten (Test-Strategie). Für den Abschlusstest mussten beide Gruppen möglichst viele Textinformationen frei aus dem Gedächtnis wiedergeben. Das Ergebnis war eindeutig: Teilnehmende mit der Lese-Strategie schnitten kurz nach dem Lernen zwar etwas besser ab als die mit der Test-Strategie, aber schon zwei Tage später übertrumpfte die Test-Strategie die Lese-Strategie und dies war auch eine Woche später noch so.

Vorteile von Lerntests zeigen sich zwar bereits, wenn Lernende kein Feedback über ihre Leistung in den Lerntests erhalten, jedoch lässt sich dieser Effekt weiter verstärken, wenn die Lernenden Rückmeldung über ihre Leistung in den Lerntests bekommen. Das ermöglicht ihnen ihre Fehler zu korrigieren. Positive Effekte von Lerntests im Vergleich zu wiederholtem Lesen können bis zu 16 Wochen nach Ende des Lernens anhalten, wie eine Studie mit AchtklässlerInnen für den Geschichtsunterricht zeigt (Carpenter, Pashler & Cepeda, 2009).
Lerntest und Abschlusstest müssen dabei nicht zwangsläufig das gleiche Format haben. In einer Studie von McDaniel, Howard und Einstein (2009) bearbeiteten Teilnehmende einen komplexen Fachtext auf drei unterschiedliche Arten. Sie wurden aufgefordert, entweder den Text wiederholt zu lesen, sich Notizen zu machen oder Inhalte des Textes frei aus dem Gedächtnis abzurufen. Eine Woche später bearbeiteten alle Teilnehmenden drei verschiedene Abschlusstests: freier Gedächtnisabruf der Textinformationen, Beantwortung von Fragen zum Text und einen Multiple-Choice Test. In allen Tests waren die Leistungen am besten, wenn eine Woche zuvor während des Lernens die Textinhalte frei aus dem Gedächtnis abgerufen worden waren – wenn sich die Teilnehmenden also selbst getestet hatten. Karpicke und Blunt (2011) untersuchten dieses Ergebnis genauer: Personen erarbeiteten sich einen Text, indem sie ihn mehrmals abwechselnd frei aus dem Gedächtnis abriefen und lasen und einen anderen Text, indem sie eine Concept Map kreierten, welche die wesentlichen Zusammenhänge bildlich repräsentierte. Eine Woche später musste die Hälfte der Personen Fragen zu den Texten beantworten, während die andere Hälfte Concept Maps zu beiden Texten gestaltete: Ein Lerntest, der freien Gedächtnisabruf erforderte, führte in beiden Testformaten zu besseren Leistungen, und zwar obwohl die Teilnehmenden nach dem Lernen in ihrer Concept Map mehr Ideen aus dem Text integriert hatten als in ihrem freien Abrufprotokoll. Das heißt, selbst wenn ein Text während der Lernphase mit Hilfe einer Concept Map erarbeitet wurde, half der freie Abruf von Informationen mehr, um im Abschlusstest eine Concept Map zu entwerfen.

Bemerkenswert ist, dass Personen direkt nach der Lernphase die Concept Map-Strategie erfolgversprechender einschätzten als die Lerntest-Strategie. Dasselbe Muster findet sich auch bei der Wiederholt-Lesen-Strategie und der Lerntest-Strategie: Wiederholtes Lesen fühlt sich für Lernende als die sicherere Strategie an, während sie Lerntests als weniger hilfreich einschätzen (Agarwal, Karpicke, Kang, Roediger & McDermott, 2008). Demnach reflektiert unsere unmittelbare Einschätzung der Effektivität einer Lernstrategie scheinbar nicht deren tatsächlichen Erfolg, Wissen langfristig zu behalten. Schnelle Erfolge während des Lernens „gaukeln“ uns vor, neu erworbenes Wissen für eine lange Zeit behalten zu können, obwohl dies nicht der Fall ist.Bild von geralt via pixabay (https://pixabay.com/en/board-school-uni-learn-work-test-361516/), cc (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de)
Ein guter Lerntest sollte Lernende motivieren, Informationen frei aus dem Gedächtnis abzurufen. Die Suche nach Informationen im Gedächtnis und ihr Abruf führen zu einer Verstärkung der Gedächtnisspur, was sich positiv auf das Behalten von Informationen auswirkt. Darüber hinaus werden nicht nur diejenigen Informationen verstärkt, die tatsächlich abgerufen wurden, sondern auch die, die mit der abgerufenen Information im Zusammenhang stehen (Chan, 2010). Das macht diese Lernstrategie im Bildungskontext besonders attraktiv, weil es unmöglich wäre, Lerntests zu gestalten, die das gesamte Material umfassen. Interessant ist auch, dass sogar Lerntests im Multiple-Choice Format genutzt werden können, um aktive Abrufprozesse zu stimulieren, indem Antwortalternativen gewählt werden, die die Lernenden anregen, zusätzliche Information aus dem Gedächtnis heranzuziehen, um die Frage korrekt zu beantworten (Little, Bjork, Bjork & Angello, 2012).

Lerntests sind daher vielseitig einsetzbar: Man kann damit nicht nur das Lernen von Textinformationen verbessern, sondern auch das Lernen von Inhalten aus Vorlesungen an der Universität oder dem Unterricht in der Schule (Butler & Roediger, 2007). Außerdem profitieren Personen aller Altersstufen, das heißt vom Kindergartenalter bis ins hohe Alter, von den positiven Effekten (Dunlosky et al., 2013).

Verteile Deine Lernzeit!

Um den Lernstoff gut zu beherrschen, sollte er nicht nur einmal durchgearbeitet, sondern wiederholt gelernt werden. Die Frage ist nun, wann optimalerweise wiederholt gelernt werden soll. Im eingangs aufgeführten Beispiel ist eine bei Schülern und Schülerinnen sowie Studierenden gängige Praxis beschrieben: Ein oder zwei Tage vor der Prüfung wird der Lernstoff mehrmals hintereinander geballt gelernt – im Folgenden auch als „Pauken“ bezeichnet. Diese Strategie kann für eine bevorstehende Prüfung durchaus erfolgreich sein, jedoch wird das © Claus Küpper-TetzelErlernte genauso schnell wieder vergessen, wie es gepaukt wurde.
Eine weitaus nachhaltigere Strategie besteht darin, dieselbe Lernzeit auf mehrere Lernzeitpunkte zu verteilen. Dies bezeichnet man als „Verteiltes Lernen“. Dieses Phänomen ist schon recht alt, denn bereits Hermann Ebbinghaus beschrieb, dass „bei einer größeren Anzahl von Wiederholungen eine angemessene Verteilung derselben über einen gewissen Zeitraum bedeutend vorteilhafter ist als ihre Kumulierung auf eine bestimmte Zeit“ (Ebbinghaus, 1885, S. 122). So schneiden Personen in einem unmittelbar folgenden Abschlusstest zwar besser ab, wenn sie eine Textpassage zweimal gepaukt hatten, doch waren sie in einem zwei Tage späteren Test klar im Vorteil, wenn sie den Text nach einer Lernpause von einer Woche erneut gelesen hatten (Rawson & Kintsch, 2005). Bemerkenswert ist zudem, dass Personen in der Paukbedingung im späteren Test nicht einmal mehr besser waren als Personen, die den Text nur einmal gelesen hatten. Verteiltes Lernen eignet sich besonders, wenn man Langzeiterfolge erzielen möchte: So berichten Sobel, Cepeda und Kapler (2011) bei FünftklässlerInnen in einem fünf Wochen später stattfindenden Test eine 177 % bessere Leistung für Material, das die Schüler und Schülerinnen verteilt gelernt und nicht gepaukt hatten.

Eine Erklärung für diesen Effekt ist, dass Lernende durch das Wiederholen des Lernstoffs nach einer längeren Pause angeregt werden, sich an die vorherige Lerneinheit zu erinnern, was zu einer Verstärkung der Gedächtnisspur führt. Eine andere Erklärung hingegen geht davon aus, dass bei längeren Pausen zwischen Lernwiederholungen bessere Hinweisreize abgespeichert werden, die später während des Abschlusstests helfen, die richtige Antwort im Gedächtnis zu finden. Die genauen Mechanismen werden noch untersucht, aber in jedem Fall handelt es sich beim Verteilten Lernen um einen der robustesten Lerneffekte der Kognitionspsychologie. Der Vorteil des Verteilten Lernens findet sich in einer Vielzahl bildungsrelevanter Bereiche: Neben den positiven Effekten auf das Lernen von Vokabeln oder Textpassagen, findet man diese auch für das Erlernen mathematischer und naturwissenschaftlicher Konzepte (z. B. Vlach & Sandhofer, 2012) sowie motorischer Fertigkeiten, zum Beispiel beim Erlernen eines Musikinstruments (Simmons, 2012).
Welche Abstände zwischen Wiederholungen sind nun aber optimal? Das hängt in großem Maße davon ab, für wie lange man sich die Information merken möchte. Küpper-Tetzel, Erdfelder und Dickhäuser (2013) untersuchten Vokabellernen bei SechstklässlerInnen. Die Vokabeln wurden entweder gepaukt, einen Tag später wiederholt oder zehn Tage später wiederholt, wobei die Gesamtlernzeit in allen Gruppen identisch war. Es stellte sich heraus, dass in einem Abschlusstest, der eine Woche später stattfand, diejenigen Schüler und Schülerinnen am besten abschnitten, die die Vokabeln mit einer Lernpause von einem Tag wiederholt hatten – Pauken sowie eine lange Lernpause von zehn Tagen führten eine Woche später zu Leistungseinbußen. Wenn der Test jedoch einen Monat später stattfand, profitierten Lernende auch von einer zehntägigen Lernpause. Der in dieser Studie gefundene Effekt ist überaus bedeutend, da Lernende, die ihr Lernen optimal verteilten, im Durchschnitt 33 % mehr Vokabeln erinnerten im Vergleich zur Paukgruppe. Demnach sind für einen in Kürze bevorstehenden Test kurze Abstände zwischen Lernwiederholungen besser, während lange Pausen zwischen Wiederholungen vorteilhaft sind,  um Informationen für einen langen Zeitraum zu behalten.
Interessanterweise kann man auf Lernsitzungen, in denen ausschließlich Vergangenes wiederholt wird, verzichten, wenn auf lange Lernpausen geachtet wird. So zeigten Bahrick, Bahrick, Bahrick & Bahrick (1993), dass weniger Lernsitzungen in größeren Abständen denselben Effekt hatten wie häufigere Lernsitzungen, die in kurzen Abständen aufeinander folgten. Jedoch dürfen die Abstände zwischen den einzelnen Wiederholungen nicht so lang sein, dass der Lernstoff vollständig vergessen wird. Für einen nachhaltigen Lernerfolg bietet es sich daher an, den Stoff beispielsweise in immer länger werdenden Abständen zu wiederholen (Küpper-Tetzel, Kapler & Wiseheart, 2014).

Praktische Tipps zu Lerntests und zum Verteilten Lernen

Die vorgestellten Strategien lassen sich in der Praxis sehr gut miteinander kombinieren, denn Verteiltes Lernen funktioniert am besten, wenn Lernende sich den Stoff während des Lernens aktiv erarbeiten und Lerntests fördern eben dies. Durch Lerntests können Lernende ihren Wissensstand evaluieren, um gezielt Lernstoff zu wiederholen, den sie noch nicht verstanden haben. Ohne einen Lerntest würden die Lernenden womöglich Bild von nikolayhg via pixabay (https://pixabay.com/en/university-lecture-campus-education-105709/), cc (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de)Lernzeit mit dem Wiederholen von Material „vergeuden“, das bereits beherrscht wird. Lernende sollten sich beim Bearbeiten des Lernstoffs eigene Fragen oder Fragen aus Lehrbüchern herausschreiben, die sie nach einer Lernpause erst aus dem Gedächtnis zu beantworten versuchen, bevor sie den Stoff wiederholt lesen.

Lehrende können sich durch häufige Lerntests einen besseren Überblick über die Themen verschaffen, die noch weiterer Erklärung bedürfen. Um kontinuierliches Lernen bei Schülern und Schülerinnen sowie Studierenden zu motivieren, bietet es sich an, solche Lerntests als festen Bestandteil einer Unterrichtsstunde einzuplanen. Verteiltes Lernen kann in den Unterricht zusätzlich integriert werden, indem Lerntests nicht nur Stoff der letzten Unterrichtseinheit abdecken, sondern auch älteren Stoff abfragen. Es ist zu erwarten, dass die positiven Lernergebnisse und das Erlebnis, Fortschritte zu machen, die anfänglichen Bedenken überwiegen, wenn Lernende über die positiven Aspekte von Lerntests informiert werden, einzelne Lerntests nur einen kleinen Teil der Note ausmachen und Lerntests innerhalb einer Schule in möglichst allen Fächern eingeführt werden.

Der Weg zum Lernerfolg…

…besteht darin, sein Wissen zu testen. Tests haben einen schlechten Beigeschmack, weil sie mit Leistungsdruck und Noten assoziiert werden, aber sie sind geniale Gedächtnisverstärker und damit eine der effektivsten Lernmethoden. Sobald Lerntests fester Bestandteil der Lehr- und Lernroutine werden und eine Verbesserung der Leistung sichtbar wird, wird die anfängliche Frustration verfliegen.Bild von Pexels via pixabay (https://pixabay.com/en/books-feet-legs-person-reading-1841116/), cc (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de)

…besteht darin, längere Lernpausen zwischen Wiederholungen desselben Lernstoffs zu machen. Pauken gibt einem zwar das Gefühl, alle Informationen sehr präsent zu haben, was aber nur für eine kurze Zeit anhält. Schon ein paar Tage später ist das Erlernte vergessen. Abstände zwischen Lernphasen helfen, Wissen für einen langen Zeitraum zu behalten.

…„wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer“ (Xavier Naidoo, 2005, Dieser Weg). Die kognitionspsychologische Forschung zeigt jedoch eindeutig, dass er sich zu gehen lohnt, wenn langfristiges Lernen das Ziel ist.