Der Wahlkampf der demokratischen Parteien ist unter den Jung- und Erstwähler:innen klar gescheitert. Das beweist der Blick auf das Ergebnis der AfD. Doch woran? Eine Analyse.
Die AfD ist regelrecht durch den Wahlkampf durchmarschiert und hat ein erschreckend deutliches Ergebnis unter den Wähler:innen zwischen 16 und 24 Jahren abgeräumt: 17 Prozent holte die in Teilen rechtsextreme, aber ganz sicher Ganz-weit-rechtsaußen-Partei in dieser Wählergruppe.
So viel erreichten sonst nur die Unionsparteien. Die Ampel hingegen verlor extrem an Zustimmung – vor allem unter den Jung- und Erstwähler:innen (Grüne 10 Prozent, SPD 9 Prozent und FDP 7 Prozent).
Großer Gewinner war neben der AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW, 7 Prozent aus dem Stand) auch die junge Kleinstpartei Volt (8 Prozent).
Die AfD aber nahm von der «Correctiv«-Recherche offenbar keinen bedeutenden Schaden. Die Veröffentlichung schlug Anfang des Jahres hohe Wellen und zog massive Demonstrationen gegen rechts nach sich. Auch der Skandal um ihren eigenen Spitzenkandidaten Maximilian Krah kurz vor der Europawahl hatte wenig Auswirkungen auf ihre Zustimmungswerte.
Große Freude bei der Rechtsaußen-Partei AfD.bild: dpa / jörg carstensen
Zwar wurden der Rechtsaußen-Partei vor wenigen Wochen noch mehr als 20 Prozent prognostiziert, mit 15,9 Prozent unter allen Wähler:innen hat die AfD dennoch ein erschreckend deutliches Zeichen gesetzt.
Ein Zeichen, in welchem Zustand die Bundesregierung und damit die Gesellschaft in Deutschland, ist.
Eigentlich war es für die demokratischen Parteien ein Anliegen, das sie alle einte: Hauptsache wählen. Egal, wen, bloß nicht die AfD. Dieser Wahlkampf ist in Anbetracht der hohen Zustimmungswerte für die Rechtsaußen-Partei offensichtlich gescheitert. Doch woran?
Demokratische Parteien bieten Jugend keine Perspektive
Die demokratischen, progressiven Parteien haben sich in Sicherheit gewähnt, aus ihrer Sicht einen starken Wahlkampf gemacht. Vor allem an die unter 18-jährigen Erstwähler:innen adressiert. Die Grünen luden sogar eigens politische Influencer zu Veranstaltungen ein. Die Grüne Jugend, aber auch die SPD-nahe Nachwuchsorganisation Jusos, warben mit Döner für drei Euro oder sogar kostenlosem Döner.
Die FDP-nahe Jugendorganisation JuLis haben sich schon früh als Wahlkampfmotor ihrer Mutterpartei positioniert. Sie haben einen eigenen Spitzenkandidaten, Phil Hackemann, gemeinsam mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann ins Rennen geschickt. Alles, um jünger zu wirken.
Trotzdem konnte keine der Ampelparteien unter den jungen Wähler:innen Gewinne verzeichnen. Noch schlimmer: Für die Grünen bedeutete die Wahl sogar einen Stimmenverlust von 18 Prozent bei den unter-30-Jährigen.
«Dramatisch», wie Politikwissenschaftler Hajo Funke es im Gespräch mit watson auf den Punkt bringt.
«Weder die Grünen noch die Ampel konnten ihre Inspiration weitervermitteln, die sie mal hatten», sagt er. Vor allem sei dies in Sachen Ökologie, aber auch bei Migrationsthemen oder der Tatsache, eine offene Gesellschaft zu wollen, der Fall.
Junge Menschen seien wahnsinnig politisch, aber sie wollen Erfolge sehen, meint der Experte. Und sich inspirieren lassen. Dinge, die der Ampel fehlen.
Die demokratischen Parteien böten weder das eine, noch das andere. «Nicht einmal eine Perspektive», bilanziert Funke. Keine der Themen, die jungen Menschen wichtig seien, fänden in der Parteienlandschaft der etablierten Parteien noch statt. Das biete genug Lücken für Rechtsextreme und auch das BSW. Funke sagt:
«Ich verstehe Jugendliche, dass sie vor allem soziale und friedenspolitische Antworten suchen – nach der Jugendtrendstudie 2024 fast zu 2/3 der befragten 16- bis 24-Jährigen. Zur Inflation zu 65 Prozent, und zum Problem teurer und knapper Wohnraum zu 54 Prozent und gleich danach zu Krieg in Europa und Nahost zu 50 Prozent. Gibt es dazu etwa Antworten, die überzeugen?»
EU-Wahl 2024: Die Jugend hat keinen Bock mehr auf Volksparteien
Laut dem Politikwissenschaftler würden vor allem viele der 16- bis 24-Jährigen auf Basis von Social Media aus Protest wählen. «Sie hören, dass die AfD alles anders machen will und probieren das aus, indem sie ihnen ihre Stimme geben.» Ein Protest gegen die Grünen, meint Funke, die für sie unglaubwürdig geworden seien.
Auffällig ist bei dieser Europawahl die massive Stimmenabwanderung von den Volksparteien SPD und CDU hin zur AfD und zum BSW. Das kann auch auf die Jungwähler:innen bezogen werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) konnte im Wahlkampf für seine Partei nicht punkten.bild: imago images / political-moments
«Die haben keinen Bock mehr auf Volksparteien», sagt Funke. Kein Bock mehr auf Rituale, auf konventionelle Parteienstruktur. Stattdessen frage man sich als Jugendlicher: Welche Partei ist noch authentisch und glaubwürdig? Viele fühlten sich laut dem Experten von den etablierten Parteien im Stich gelassen.
Nach EU-Wahl 2024: Die Ränder der Parteienlandschaft gewinnen
Wichtig sei hingegen: ein junges Erscheinungsbild der Partei, eine schnelle Umsetzung der Forderungen und Zugänglichkeit der Parteimitglieder. Diesen Ort gebe es für die Jugend derzeit bei den etablierten Parteien nicht, sagt Funke.
Das sei der Grund, warum die Ränder an Stimmen gewonnen hätten.
Nach EU-Wahl: Was vor der Bundestagswahl folgen muss
Nach der EU-Wahl ist vor der Bundestagswahl 2025. Wie FDP-Spitzenkandidatin Strack-Zimmermann am Sonntag auf der Wahlparty ihrer Partei verkündete, befinde man sich ab Montag im Wahlkampf für die Bundestagswahl.
Für ein ausgiebiges Wundenlecken bleibt vor allem den Ampelparteien eigentlich keine Zeit. Hajo Funke attestiert der Ampel eine gegenseitige Blockade: «Sobald die SPD für den Sozialstaat einsteht, droht Lindner mit der Aufkündigung der Koalition.»
Die Ampel ist am Ende
Der Experte geht sogar so weit, der SPD einen Koalitionsbruch nach dem Vorbild Frankreichs zu empfehlen. «Die Glaubwürdigkeit der Ampel ist unterirdisch.» Der SPD würde es zugutekommen, sich aus der Koalition zu lösen, womöglich unter einer anderen, selbstkritischen, Parteiführung. Doch dieser Weg sei im Moment offensichtlich nicht wahrscheinlich.
CDU-Kanzler Merz? Unwahrscheinlich
Doch auch die anderen Parteien bringen sich schon für die Bundestagswahl in Stellung. «Die CDU wäre besser beraten, wenn sie außen und innen und sozialpolitisch flexibler wäre. Das ist mit Merz nicht zu machen», sagt Funke. Sie kämen zudem nicht aus ihrem «30-Prozent-ist-hoch-genug-Turm» heraus, meint der Experte.
Die Parteien könnten allerdings anders, wenn sie nicht darüber nachdächten, was die Mehrheiten jeweils wollen. Sie müssten ihr Profil bewusst schärfen, um Antworten und Perspektiven zu bieten.